Wladimir Sorokin: Nicht ohne den Protagonisten zu lieben
Der Roman "Der Tag des Opritschniks" beginnt damit, dass Mitarbeiter einer Geheimpolizei das Haus eines Oligarchen anzünden und seine Frau brutal vergewaltigen. Die 'Opritschniki' feiern auch homosexuelle Orgien und nehmen Drogen, trotzdem ist gerade dieses Buch bei Kreml-Mitarbeitern auf grosse Zustimmung gestossen. Wie erklären Sie sich dieses bizarre Phänomen?, fragt Benedict Neff den russischen Schriftsteller:
"Ich habe dieses Buch aus der Perspektive eines Opritschniks geschrieben und ich habe mich beim Schreiben tatsächlich mit ihm identifiziert, wie ich mich mit jeder meiner Hauptfiguren identifiziere. Oft wurde ich dafür kritisiert, dass ich mich als Erzähler nicht gegen meinen Protagonisten gestellt habe. Aber das geht nicht. Wenn der Autor die Hauptfigur hasst, wird er sie nie beschreiben können. Ich muss meiner Hauptfigur gegenüber tolerant sein und ihr alle Freiheiten lassen."
aus: "Die Leiche der Sowjetunion erschreckt als Zombie die Russen und die ganze Welt" - Ein Gespräch mit Benedict Neff und Wladimir Sorokin - Neue Zürcher Zeitung 8.3.2024