Gert Loschütz: Über das Reifen von Notizen
"Ich gehöre zu den sich häufig Notizen machenden Autoren. Früher landete alles, was mir aufhebenswert erschien, in kleinen, bei Ausflügen in der Innentasche der Jacke mitgeführten Vokalbelheften: Ortsbeschreibungen und Porträts, Beobachtetes und Erlauschtes, Skizzen zu Erzählungen, Hörspielen, Filmen. Und irgendwann fiel mir auf, dass ich das Aufgehobene lange nicht benutzte, bis ich es - oft erst nach Jahren - dann doch tat.
Offenbar ist es so, dass die Dinge ablagern müssen, bis sie mir nicht mehr als angeeignet und von außen zugeflossen erscheinen, als Fremdmaterial, sondern als ganz und gar zu mir gehörend, als etwas in mir Gewachsenes. Erst dann, merke ich, habe ich die Sicherheit, frei damit umzugehen."
aus: "Verlass ist nicht, Bleiben ist nicht - Auf die Dinge ist kein Verlass, darum bin ich Schriftsteller geworden" von Gert Loschütz aus seiner Rede zur Auszeichnung seines Romans "Besichtigung eines Unglücks" (Schöffling & Co) mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis - Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.1.2022