Emmanuel Carrère: Fenster zur Hölle

Roman Bucheli und Benedict Neff im Gespräch mit dem französischen Schriftsteller, der sich als 'radikalen Pessimisten' bezeichnet. Ihre Frage an ihn: "Es gebe in jedem von uns ein Fenster zur Hölle, haben Sie einmal gesagt. Was ist Ihre persönliche Hölle?"

E. C.: "Wir sind alle hin- und hergerissen zwischen unserer Fähigkeit, auf andere zuzugehen, unserer Empathiefähigkeit und dem Rückzug in eine nach aussen abgeschlossene Innenwelt. Ich denke, dass dieses Eingeschlossensein in mich selbst meine Hölle darstellt."

Verstehen Sie die Literatur als Mittel, um gegen den Pessimismus anzukämpfen?

E.C.: "Ich sehe die Literatur nicht, die uns beschwichtigen sollte oder könnte. Die uns sagt, Freunde, es kommt alles gut, und die man dann noch ernst nehmen könnte. Wer einen Diskurs der Hoffnung führt, disqualifiziert sich selbst. Ich empfinde als Schriftsteller eine sehr grosse Ohnmacht. Die natürlich die Ohnmacht spiegelt, die ich als Individuum erlebe."

2023 erschien bei Matthes & Seitz sein Band V13 mit Gerichtsreportagen, über das Strafverfahren gegen die Attentäter des 'Bataclan'-Anschlags.

aus: "Die westliche Zivilisation ist am Verschwinden" von Roman Bucheli und Benedict Neff - Neue Zürcher Zeitung 5.1.2024