Autorenbrief - Dichten Sie?
liebe Autorinnen und Autoren,
fragt Herr Paul, ein sehr respektloser Kater, der sich provokant vor dem dichtenden Hofhund Tassilo, aufbaut: „Sie schauen so verschwiemelt! Dichten Sie?“ Aus seiner Hütte antwortet der: „Oh, Herr Paul! Ja, mir sind ein paar Zeilen eingefallen! Wollen Sie sie hören?“
Der geistige Vater dieser illustrierten Poesie-Episode, Volker Reiche, hat in seinem Strizz-Comic "Das Poesie-Album 5" gleich mehrere Denkanstöße fürs Gedichteschreiben gegeben und das auch noch schön satirisch verpackt.
"Jeder kann Gedichte schreiben", diesen Titel gab Helmut Heißenbüttel seinem Vortrag über die 'Lehrbarkeit des Poetischen'. Auch die legendären "Gebote" von Ezra Pound, deren Übersetzung schon lange vergriffen ist, sind in Thomas Wiekes Gedichte schreiben ebenso wie Robert Gernhardts "10 Thesen zum komischen Gedicht" abgedruckt.
Quarantäne, das Gefühl in der Wohnung eingesperrt zu sein wie in einem Gefängnis: Manche haben in einer solchen Situation angefangen, die Wände zu beschreiben. Damit Sie nicht anfangen, ihre Tapete zu bedichten, hier ein paar Zeilen von Ernst Jandl, die Ihnen vielleicht ein kleines Lächeln entlocken: „wenn fünf/ gedichte/ pro tag/ schreiben/ ich will/ müsste/ ich schon/ einen ziemlichen/ schwung haben/..."
Schaffen Sie das, fünf Gedichte an einem Tag? Und das mit dem eigenen Anspruch an Stil, Form und Inhalt ... Anregungen finden Sie in Marion Gays Türen zur Poesie, ein Buch, das sich an junge Talente wendet und 100 erprobte Schreibspiele enthält.
Anregungen sind auch nicht mehr so leicht zu kriegen: Seit das Leute- und Dialogbelauschen in Cafés und Kaufhäusern, Bussen oder Bahnen nicht mehr möglich ist. Die Dichterin Sarah Kirsch hat einmal verraten wie sie es macht: „Ich surfe nicht im Internet, ich surfe im Grimm.“
Jasmin Schreiber ist nicht nur Schriftstellerin, sie hat auch den passenden Namen dazu. Ihr Debütroman „Marianengraben“ (Eichborn Verlag) ist im Corona-Jahr 1 erschienen. Obwohl Lesungen und öffentliche Präsentation stark eingeschränkt waren, hat das Buch seine erste Auflage im Nu verkauft. Die Autorin hatte allerdings auch starke Auftritte im Internet. Und mit Storytelling, das merkt man, kennt sie sich als PR-Frau beruflich aus.
Auch Politiker wie Armin Laschet wissen, wie man Storytelling erfolgreich einsetzt: Als er sich zum Ende seiner Bewerbungsrede für den CDU-Parteivorsitz lässig ans Rednerpult lehnte und die Bergmannsmarke seines Vaters hervorzog, um aus dessen Leben zu erzählen, öffnete dies Scheunentore der Emotion bei den Delegierten. So gewann Laschet ihr Vertrauen und ihre Wählerstimmen.
Mit Storytelling werden Emotionen wie im echten Leben geweckt. Lektor und Leser fühlen mit den Figuren in Ihrer Geschichte, als wären sie lebendig. Wie Sie das erreichen erklärt Otto Kruse in Storytelling. In seinem Buch ("Komprimierte und sehr professionelle Anleitungen zum Kreativen Schreiben" Lovely Books) enthalten ist auch ein Kapitel zum „Schreiben als Lebenshaltung“ mit den acht Ritualen, die das Schreiben zum ganzheitlichen kreativen Prozess machen. Außerdem: mehr als 50 Schreibübungen mit zahlreichen Beispielen und Schreibtipps - ein Trainingsprogramm, das Mut macht.
Im Tieger-Blog finden Sie wieder die unkonventionellen Schreibtipps eines erfahrenen Kollegen, diesmal von Jonathan Franzen.
Mit guten Wünschen für ein besseres neues Jahr
Ihre Gerhild Tieger
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