Bernhard Schlink über Themenfindung und Themenwahl
Wählen Sie Ihre Stoffe bewusst oder suchen die Stoffe im Gegenteil Sie, werden Sie von ihnen sogar heimgesucht, überfallen?
"Ich spiele immer mit Geschichten. Sie stellen sich bei mir ein. In den Geschichten, die mich so beschäftigen, dass ich sie auseinandernehme, anders zusammensetze, erneut verändere, bis sie stimmen, geht es immer auch um Themen, die mir wichtig sind. Aber es ist nie so, dass ich ein Thema habe und dazu eine Geschichte suche. Das Erste ist immer die Geschichte."
Kann man sagen, dass Ihr übergeordnetes Thema die Schuld ist?
"Ich habe nicht ein übergeordnetes Thema. Schuld ist e i n Thema, Lebenslügen, Verstrickungen und Verrat, die Liebe und ihr Scheitern, wie Menschen sich suchen, verfehlen, verletzen, sind andere. Gewiss, bei jedem dieser Themen geht es auch um Schuld; wir Menschen können in jedem Kontext schuldig werden. Immer wieder beschäftigt mich auch die Vergangenheit, als individuelles, kollektives, als deutsches Thema."
Der neue Roman von Bernhard Schlink, "Die Enkelin", ist kürzlich im Diogenes Verlag erschienen.
aus: "Wir sind immer moralischer geworden" Das Interview mit Bernhard Schlink führten Manfred Papst und Peer Teuwsen - Neue Zürcher Zeitung 3.4.2022