Ayelet Gundar-Goshen: "Ich muss die Menschen so beschreiben wie sie sind ...

nicht so, wie ich sie gerne hätte.", sagt die israelische Schriftstellerin und Psychologin. Ihr Verleger hatte ihren Roman vorab von einer 'sensitivty reader' auf problematische Stellen lesen lassen. Nadine A. Brügger hat die Autorin gefragt: Um welche heiklen Stellen in Ihrem Buch ging es?

"Am Anfang des Romans stellt sich die weisse Mutter vor, ein schwarzer Teenager liefe in der Dunkelheit hinter ihr. Sie denkt, dass sie sich sehr wahrscheinlich vor diesem Fremden fürchten würde. Die 'sensitivity reader' sagte, dass diese Stelle rassistisch klinge, weil diese weisse Frau Angst vor dem schwarzen Mann hat, eben weil er schwarz ist. Und ich sagte: Das ist exakt der Punkt. Diese Frau ist nicht jung und woke. Sie kommt nicht aus New York. Sie ist eine Israelin in ihrem Vierzigern. Offensichtlich steckt da ein bisschen Rassismus in ihr. Als Autorin muss ich die Menschen so beschreiben, wie sie sind, nicht so, wie ich sie gerne hätte." (...) Wenn ich die Welt nur so beschreiben würde, wie ich sie gerne hätte, ginge die ganze Komplexität des Lebens verloren. Aber meine Arbeit als Psychologin und  als Autorin ist es, diese Komplexität aufzuzeigen und zu entwirren."

Von Ayelet Gundar-Goshen sind erschienen die Romane "Eine Nacht, Markowitz', 'Löwen wecken', die 'Lügnerin' und zuletzt 'Wo der Wolf lauert', bei Kein & Aber.

aus: "Wir leben in einer Wohlfühlideologie" Interview von Nadine A. Brügger - Neue Zürcher Zeitung 21.4.2023