Autorenbrief Okt. 2023
Liebe Autoren und Autorinnen,
"Es kann doch nur noch besser werden“ – heißt das neue Theaterstück von Sibylle Berg. Im Berliner Ensemble hatte das pechschwarze Werk kürzlich Premiere. Wer noch keines ihrer Bücher gelesen hat, der lernt den Endzeithumor der schweizer Buchautorin und Dramaturgin jetzt im Theater kennen, wobei sie auch das Genre und sich selbst nicht schont: „Seit es ChatGPT gibt, bin ich in der Lage, Theaterstücke zu schreiben“ – so ihre sarkastische Replik.
Auch der brillant-boshafte Kingsley Amis war ein sarkastischer Autor. Der Schriftsteller behauptete einmal, dass alle Romane autobiografisch seien, weil das der Stoff sei, den der Autor am besten kenne. Und was das Leben nach dem Leben angeht, meinte er, es begänne erst mit den Nachrufen durch die Kritiker - erst wenn sie tot seien, würden Schriftsteller erfahren, wie gut sie seien.
Über die Entstehung von Jean Dubuffets Werk "Die Stunde des Wolfes" las ich vor kurzem im Kunstkatalog des Auktionshauses Van Hamm: „Alles begann mit einer Telefonzeichnung. Oberflächlich betrachtet (…) waren die Anfänge wieder einmal zufällig. Nach einer häufig erzählten Geschichte machte Dubuffet während eines Telefongesprächs Kritzeleien mit einem roten und einem blauen Kugelschreiber und erkannte dabei die Möglichkeiten einer völligen Neuorientierung.“ „Der Akt des Kritzelns kann gleichgesetzt werden mit dem Aufbrechen vorbewussten Wissens …“ - Ähnlich stelle ich mir die Situation beim freien Schreiben vor, wenn der Autor intuitiv Texte zu Papier bringt – ohne dabei nachzudenken, eine Lockerungsübung und Fundgrube für spätere Texte. Julia Cameron: Von der Kunst des kreativen Schreibens. Der Weg zum inspirierten Schriftsteller
Die Natur ist nicht gerecht, sie vergibt ungleiche Chancen im Überlebenskampf: Neurowissenschaftler Henning Beck vom Scene Grammar Lab der Uni Frankfurt fand heraus, dass optimistische Menschen oft kreativer und proaktiver sind als pessimistische. Sie sollen in Tests leistungsfähiger sein, fast 15 % länger leben, Stress besser aushalten, sich von Krankheiten besser erholen und auch noch das Alter glücklicher erleben. Das einzig Positive, das für die bedauernswerten Schwarzseher spricht: Sie haben das Flair des Intellektuellen. Aber gleich gibt es wieder Negativpunkte: „Pessimists sound smart, optimist make money“, laut IT-Unternehmer Nat Friedman. Nur weiss man noch nicht, wie sich das beim Schreiben von Romanen auswirkt ...
Der kanadische Schriftsteller Michael Ondaatje (Der englische Patient) nimmt sich viel Zeit für die Entwicklung seiner Romane: Vier Versionen schreibt er mit der Hand, um in die Tiefe seiner Story vorzudringen, dann erst überträgt er das Geschriebene in den Computer. Danach folgt die Überarbeitung in mehreren Gängen, das Kürzen auf das Wesentliche: „Ich schreibe, als wäre alles eine Probe, ich versuche alles, probiere alles aus, obwohl natürlich eine unterschwellige Auswahl stattfindet.“ Von Michael Ondaatje erschien zuletzt der Roman Kriegslicht.
Die Technik des Story-Buildings im Roman beschreibt Ronald B. Tobias: 20 Masterplots. Die ersten fünf Kapitel erklären die Grundzüge eines Plots und die allgemeinen Strukturen von Geschichten. Der zweite Teil des Buches bietet in zahlreichen Beispielen zwanzig archetypische Plots. ... Für ein Sachbuch ist das Buch ausgenommen spannend, dabei aber auch informativ für den Newbie gleichermaßen, wie für den schon versierten Autor. Unbedingt empfehlenswert. (Lovely Books)
Nora Haddada hat mit ihrem Debütroman Nichts in den Pflanzen bereits einige Aufmerksamkeit erhalten. In etlichen Rezensionen entdecken Kritiker eine Authentizität der Autorin mit der Hauptfigur: Einer Drehbuchautorin, die in einer Schreibblockade feststeckt. Und das ausgerechnet als ihr Traum von einem Vertrag mit einer Produktionsgesellschaft in Erfüllung geht. Sie findet einen ungewöhnlichen Weg aus dem Dilemma - allerdings auf Kosten der Menschen ihrer nächsten Umgebung.
Sidney Lumets Filme machen - Vom Drehbuch zum fertigen Film ist wieder erhältlich. Der legendäre Dramatiker und Regisseur David Mamet zum Buch: "Sidney ist der Maestro … Sein Buch ist, wie seine Filme sind – freimütig, ehrlich, temporeich und sehr, sehr klug. Jeder, der ernsthaft am Film interessiert ist, sollte es lesen."
Einen produktiven Herbstanfang wünscht Ihnen
mit herzlichen Grüßen
Ihre gerhild tieger