Gefragte Lektüre: Mord und Totschlag, Zuhör-Kiosk, Morgenseiten und Reuesongs

Liebe Autorinnen und Autoren, 

warum sind Kriminalromane so beliebt? Warum gehört das Genre zu den meistverkauften Büchern? Sogar Buchhändler empfehlen die früher von ihnen als geistiges Leichtgewicht abgetane Unterhaltung.  Eine Erklärung dafür hat Gerichtspsychiater Reinhard Haller - hier.  Action, Spannung bis zur letzten Seite, geistige Anregung, Ablenkung vom eigenen ruhigen Alltagsleben, sogar Stellvertretermorde können ein Motiv sein. Das Vorurteil des seichten Lesevergnügens von früher stimmt heute nicht mehr: Mord und Totschlag sind als Thematik wie auch vom Stil anspruchsvoll und literarisch geworden. Sogar Politiker verstecken ihre Lektüre nicht mehr. Die isländische Ministerpräsidenkin Katrin Jakobsdottir scheut sich nicht, zuzugeben, dass Kriminalromane eine "Art der Psychotherapie" für sie sind. Eine Aufforderung, es selbst einmal zu versuchen. Patrick Baumgärtel, ausgewiesender Kenner des Genres, macht Ihnen einen Vorschlag: Wie Sie Krimis schreiben, 192 Seiten, Hardcover, 19,99 Euro. 

Eine ungewöhnliche Idee hatte Drehbuchautor Christoph Busch als er den U-Bahnkiosk an der Linie U 2  Emilienstraße in Eimsbüttel zum OHR machte und jedem, der es brauchte oder wollte anbot, zuzuhören. “Eine Geschichte oder einen Satz, Erlebnisse oder Wünsche, Glück oder Unglück – kostenlos und unabhängig“, steht an dem gemieteten Kiosk, in dem er schreiben und Geschichten sammeln wollte, wie er dem Journalist Frank Heike sagte. Und: „Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich oder ein anderes Mal.“ Ein halbes Jahr war er anfangs von Montag bis Freitag jeweils sechs Stunden im gemieteten Ohr-Kiosk in der U-Bahnstation und hörte den Menschen zu: „Ständig kam jemand und erzählte mir etwas Spannendes, vertraute mir etwas an.“ Heute helfen ihm bis zu 20 Leute beim Zuhören, der Zuhör-Kiosk ist inzwischen ein eingetragener Verein. Der Bedarf bei den Menschen auf dem Bahnsteig, sich auszusprechen, über ihre Probleme, über Trauriges oder Freudiges zu reden, ist groß. Was sicher den Erfolg dieses „Ohrs“ ausmacht ist die Anonymität, "sich nicht wiedersehen zu müssen" und sich womöglich von einer Geschichte befreit zu haben, an der ein mitfühlender Mensch teilgenommen hat. 

Drehbuchautoren müssen natürlich immer ein offenes Ohr haben und wenn es im Script nicht weitergeht, steht Karl Iglesias' Emotionen im Film bereit. Das Buch ist übrigens ein Geheimtipp unter Romanautoren geworden, denn es gibt auch ihnen jede Menge Anregungen, wie sie die Gefühle ihrer Leser erreichen und emotionale Erlebnisse schaffen.

"Wenn man autofiktional schreibt, muss man in Kauf nehmen, dass sich damit Beziehungen im realen Leben verändern können. Weil man dem anderen eine Art Spiegel vorhält über Punkte, die man vielleicht nicht besprochen hat", sagt Julia Schoch. Für Ihre Trilogie Biografie einer Frau hat sie die Form des autofiktionalen Erzählens gewählt, das mittlerweile ein Trend ist. Zum autobiografischen Schreiben ist Judith Barringtons Buch Meine Erinnerungen, mein Leben, Einladung zum autobiografischen Schreiben, 175 Seiten, Hardcover 18,00 Euro, eine gute Ergänzung: Sie geht auf Fragen der Form, der Zeitebenen und der individuellen Stimme ein. Sie zeigt, wie man das innere Erleben schildert, Namen und Orte nennt oder verfremdet - und dennoch bei der Wahrheit bleibt.

 "Ich schrieb nie ein Lied für Karin." Das klingt als hätte jemand seine verflossenen Lieben als kreative Anregung verwendet. Singer/Songwriter Udo Jürgens bedauerte zwar die unbeschriebene Karin spät, verewigte sie aber dann doch noch in einem Reuesong. Was beweist, dass man aus allem, ein Lied erschaffen kann. Und was hat nicht alles Platz darin? Das ganze eigene Leben, das der Mitmenschen - und natürlich auch: Frauennamen, wie "Walzer für Hermine" und "Angelika aus Winsen an der Luhe" in denen Udo Lindenberg soviel zu erzählen weiß. Vielleicht probieren Sie es auch einmal mit Namen und lassen sich von Edith Jeske und Tobias Reitz begleiten: Handbuch für Songtexter. Denn: "Dieses Lied, das es nie gab ..." könnte auch Ihr schönstes sein, frei nach Udo Jügens.

Herzlich,
Ihre Gerhild Tieger